Irgendwann im Laufe eines „Tatorts“ hat sich die Glaswand der Kriminalisten mit Fotos und Verbindungslinien gefüllt und die Kommissare und Kommissarinnen treten einen Schritt zurück, um das große Ganze besser zu sehen. Ich gebe zu, mein Abstand war ein wenig größer als ein Schritt. Ich steckte mitten in meiner Masterarbeit über historische Mehrsprachigkeit als die Summer School in Historical Sociolinguistics anfing, meine Möglichkeit, noch einmal Abstand zu nehmen und von dieser Position aus mein Spinnennetz aus Sprachbelegen, Zeiten, Orten, sozialen Umständen, Theorien und und und in den Blick zu nehmen. Historische Soziolinguistik ist ja im Prinzip die Kriminalistik der Sprachwissenschaften. Mit ähnlich schwer zu findenden Beweisen versucht man zu erklären, was wann wo durch wen warum sprachlich passiert ist. Wann und wo die Summer School dieses Jahr stattfand, war einfacher herauszufinden: Vom 22. bis zum 29. Juli ging es also für mich unterstützt durch einen freundlichen Zuschuss des KSM-Studienganges zu den Reisekosten nach – Mehrsprachigkeit, ik hör dir rufen – Lausanne in der Schweiz, dessen Universität die Summer School beherbergen sollte. Organisiert wurde sie von HiSoN (Historical Sociolinguistics Network). Namentlich standen dieses Mal Anita Auer, Tino Oudesluijs (beide Université de Lausanne) und Nils Langer (EUF) dahinter. Und nicht nur ich kam dorthin; Teilnehmer und Lehrkräfte aus Europa, Israel, China, Australien und den USA reisten an, Masterstudenten, Doktoranden, Postdocs, Dozenten und Professoren. Das ganz große Ganze also. Alle verband die Begeisterung für ein linguistisches Feld und so war schnell egal, welchen Titel man trug (oder eben, wie ich, noch keinen). Wir verbrachten dort fünf spannende und sehr ausgeglichene Tage mit Seminaren von Suzanne Aalberse (Universiteit van Amsterdam), Jonathan Culpeper (Lancaster University), Spiros Moschonas (University of Athens), Taru Nordlund (University of Helsinki), Simon Pickl (Universität Salzburg) und Israel Sanz-Sanchez (West Chester University), aber auch mit Gesprächen bei Social Events wie Käsefondue, Wanderung oder Abschiedsessen. Ich bekam neue Perspektiven auf Fragen der Disziplin und Einblicke in Bereiche, die mich bis dahin weniger beschäftigt hatten. Und wer am Abend die (Zwischen-)Ergebnisse seiner oder ihrer Forschung präsentierte, bekam interessierte Rückfragen und Hinweise. Neue Ideen entstanden, bei mancher alten musste man vielleicht die Beweisführung noch einmal mit stärkeren Indizien nachbessern, aber so oder so: Man wurde mit seinem Projekt ernst genommen. Mit diesem Rückenwind ging es schließlich wieder zurück an den heimischen Schreibtisch. Zurück zu meinem eigenen kleinen Kriminalfall, den ich noch zu klären hatte.
Jan Niklas Heinrich
KSM Studierender (Reisekostenunterstützung)